Iss, trink und mach den Gürtel auf.
Polnisches Sprichwort
Unübersehbar freut sich Andrzej Mikolajewicz darauf, gleich mit seinen Gästen auf ihr Wohl und ihre schöne Zeit in seinem Haus anzustoßen. Dafür hat er einen selbst gebrauten Kräuterschnaps zelebriert, dem er noch einen aus Schlehen und einen aus schwarzem Holunder folgen lässt. Fast noch mehr freut er sich auf die lobenden Minen und Ausrufe seiner Gäste. Erwartungsgemäß lecken sie sich denn auch die Lippen, spüren dem ungewohnten Geschmack von Apfelbeere mit Kardamon und einem Hauch von Schokoladenminze nach und beobachten enttäuscht, wie der Hausherr die Flaschen wieder schließt und wegstellt. Um erleichtert zu erspähen, dass er sie nur gegen eine andere austauscht. Aus der fließt es fast orangefarben ins Glas, denn so etliche Quitten mussten dafür ihren einstigen Aggregatzustand verlassen. Als handfeste Begleitung tischt Frau Barbara, die studierte Gartenwirtschaftlerin, frisches Brot, verschiedene Kräuter- und Knoblauchbutter und Käsecremes auf. Mit stets variierenden Ingredienzien, versteht sich, denn damit beginnt die gehaltvolle Einführung in die Kräuterkunde.
Der Hausherr ist ein pensionierter und nach wie vor passionierter Agrarwissenschaftler und weiß also sehr genau wovon er spricht. Noch lieber zeigt er es: In seinem üppigen Garten hinterm Haus mit imponierenden Gemüse- und Kräuterbeeten und mittendrin zur Likörwerdung aufgestellten Ballons mit Wacholder- und Johannisbeeren. Verschmitzt und eloquent beschreibt er Herkunft und Wirkung jeder Pflanze. Aha, so also sieht Absinth, eigentlich Wermut, im Garten und nicht in der Flasche aus. Harmlos, fast langweilig im Vergleich zu sich prachtvoll abhebenden Staudennachbarn. Trotz seiner Schlichtheit (vor allem aber wohl wegen des hohen Alkoholgehalts) hat er etliche Künstlerseelen auf dem Gewissen. Hätten sie Andrzej getroffen, bevor sie sich der verflüssigten Form hingaben, hätte er ihnen zu anderem geraten. Denn der Wermut gehört zur Gruppe des Beifuß‘ und ein Sträußchen von selbigem kann allerlei Liebesdienste in Gang bringen.
Nicht minder erstaunlich sind die Informationen, die sich um den Borretsch ranken. Dieses Kraut gab man früher den Soldaten in den Wein, damit sie mehr Mut bekamen. Schon die mittelalterlichen Ritter förderten mit dem Verzehr ihren Adrenalinausstoß. Vor allem aber ist der Borretsch wichtig für die Bienen, denn seine schönen, auf vielen Gemälden verewigten Blüten, geben selbst bei niedrigen Temperaturen noch reichlich Nektar her.
Der deutschsprechende Andrzej weiß zu jeder seiner Pflanzen streng Wissenschaftliches, selbst Ausprobiertes, aber auch augenzwinkernd Überliefertes zu erzählen. Kein Wunder, dass seine Gäste so schnell nicht wieder abreisen, denn jeden Tag sprudeln neue Storys hervor und andere Kräutergerichte bereichern den Tisch.
Immer den wohlduftenden Kräutern nach
Barbaras und Andrzejs Villa Jasna und ihr himmlischer Kräutergarten in Czorsztyn sind nur eine Station auf der Kräuterduftroute, die seit 2009 ab Krakow durch Malopolska (Kleinpolen) zu 22 Bauernhöfen und Kräutergärten führt. Alle bauen ihre Kräuter mit großer Leidenschaft nach traditionellen, ökologischen Methoden an. Sie verwöhnen ihre Gäste mit frischen, hausgemachten Delikatessen und ihren besonderen Spezialitäten, wie Forellen im Kräutergewand, antidepressiven Kräuterkuchen oder Hexensuppe aus sieben Kräutern.
Andrzej und viele andere der Gastgeber sind Goralen. Sie legen ihre Tracht mit der bestickten Weste und dem muschelbesetzten Hut nicht allein aus folkloristischen Gründen an, um ihre Gäste zu beeindrucken. Die Goralen sind sehr stolz auf ihre Traditionen. Ihr Name leitet sich vom polnischen „gora“ für Berg her. Ihnen wird nachgesagt, dass sie besonders starke, ehrliche und arbeitsame Leute sind, die sich ihren Lebensunterhalt vor allem mit Viehzucht und Landwirtschaft in den Bergen der Karpaten und der Hohen Tatra verdienen.
Ziemlich genau 500 dieser Bergmenschen verlassen jedes Jahr für die Dauer der Urlaubssaison ihre Höhen, um Touristen über den Fluss Dunajec durch das Pieniny-Gebirge am Rande der Hohen Tatra zu staken. Auch diese traditionsbewussten Flößer sind voll der Geschichten und Sagen, wenn sie ihre jeweils maximal zehn Passagiere auf dem Holzfloß zwischen 17 und 23 Kilometer weit durch eine der schönsten Landschaften Polens manövrieren, die völlig zurecht zu den wichtigsten Naturdenkmälern Europas gehört. Die winkenden Radfahrer am Ufer sind mal Polen, mal Slowaken, denn der Fluss schlängelt sich durch polnisch-slowakisches Grenzgebiet. Passiert dabei Schluchten und dichte Wälder, windet sich mal gemächlich und mal durch Stromschnellen angetrieben.
Polnische und japanische Küche aufs Köstlichste verbunden
Ein Bergmensch von ganz anderer Nationalität ist Akiko, deren gleichnamige Villa ebenfalls zu den Highlights der Kräuterroute gehört. Noch viel lieber als aus ihrem Garten holt die zierliche Japanerin ihre frischen Kräuter aus dem Wald oder pflückt sie auf den sie umgebenden Bergwiesen. Sie kann sich da ganz sicher sein: mehr BIO als bei ihr in luftiger Höhe des Gorce-Gebirges geht nicht. Nicht mal Autos haben eine Chance die Ruhe zu stören. Jedenfalls nicht, wenn sie unbeschadet den Ausflug überstehen sollen. Darum holt die agile 68jährige ihre Gäste stets mit einem robusten Rangerover aus dem im Tal gelegenen drei Kilometer entfernten Harklowa ab.
Als Akiko ihr imposantes Haus im wahrsten Sinne aus dem Nichts aufbaute, musste sie neben vielem anderen auch lernen, polnische Wurst zu machen, denn die Bauarbeiter mochten weder Sushi noch japanische Reisgerichte. Dieser etwas sonderbar anmutende Küchenmix ist heute fast zu einem Wahrzeichen der Villa geworden. Auf eine Sushiplatte folgt üppiger polnischer Käsekuchen, dem asiatischen Hauptgericht geht eine typisch polnische Suppe voran. Mal die Gurkensuppe, mal die herzhaft-saure Mehlsuppe Zurek. Doch selbst wer drei Wochen zu Gast ist, bekommt nie etwas doppelt aufgetischt. Es sei denn, er hat den Wunsch.
Dass man Akiko ihre 68 Jahre nicht ansieht, führt sie ganz schlicht auf ihr stets frisches und meist vegetarisches Essen zurück, auf die viele Arbeit („vor allem in der Erde zu graben liefert viel Energie“), davon reichlich an der frischen Luft und natürlich auf das Klima ihrer Wahlheimat. Seit 22 Jahren ist sie schon an diesem Ort, in den sie sich nach einem Studium der Glasproduktion in Breslau verliebte und an dem sie sich ihren Traum von einem einladenden Haus in den Bergen erfüllte. Diesen Traum und ihr umfangreiches Kräuterwissen aus zwei Ländern teilt sie nun gern mit ihren internationalen Gästen, die es nicht stört, dass alles ein wenig knarzt und ächzt, wenn sie wissen, dass alles aus unbehandeltem Holz erbaut ist.
Schornstein qualmt nicht
Natürlich hat auch Andrzej Mikolajewicz, der Kräuterguru aus Czorsztyn, für seine Gäste wunderschöne Zimmer ausgebaut, jedes in einem anderen Stil. Die zur Straße hin haben einen unvergleichlichen Panoramablick über das Tal am Rande des Pieninen-Nationalparks bis hinüber auf die Gipfelkette der Hohen Tatra. Die bestimmenden Farben sind das satte Grün der Wälder und das blanke Blau des Himmels. Dazwischen die buntgetupften Gärten und Felder. Obwohl Czorsztyn doch Schornstein heißt, ist die Luft ganz rein, völlig unbeschadet von Industrieabgasen. Die reinste Herz-Lungen-Maschine. Trotzdem wählen die Gäste meist lieber Zimmer ohne Panorama, also mit Fenstern zum Garten. Die eröffnen den Blick auf die 240 Kräuter- und Gemüsesorten, die einen unwiderstehlichen Duft verströmen. Wie eine Zusammenfassung des Streifzugs durch die kleinpolnischen Dörfer mit ihren ganz besonderen Aromen.
Reiseinfos für Malopolskie (Kleinpolen)
Auskünfte und Beratung: Polnisches Fremdenverkehrsamt, 10709 Berlin, Kurfürstendamm 71, Tel. +49 (030) 21 00 92 0, Fax +49 (030) 21 00 92 14, www.polen.travel
Anreise: Mit dem Flugzeug bis Krakau, von dort aus weiter mit Regionalbahnen oder Mietauto.
Unterkünfte: Die Villa Jasna und der Grüne Garten von Barbara und Andrzej Mikolajewicz in Czorsztyn: www.czorsztyn.com.pl, Villa Akiko in Harklowa:www.akiko.pl
Weitere Unterkünfte entlang der Kräuterroute können (englischsprachig) gebucht werden beim Reisebüro LaVista in Nowy Sącz. Tel. (0048) 18 442 61 90, www.lavista.pl
Malopolskas Superlative:
– 8 UNESCO-Obejekte
– 250 Sehenswürdigkeiten auf der Holzarchitekturroute
– 9 Kurorte
– 6 Nationalparks
– 4 Geothermalbäder
– 2600 km Fahrradrouten
– 3360 km Bergrouten
– 250 Skipisten
Kräuter und ihre Wirkung
Gegen (fast) alles ist ein Kraut gewachsen
Weisheiten, gesammelt und ausprobiert von Andrzej Mikolajewicz
Die unscheinbarsten Gewächse verfügen oft über reiche Gaben: eigenwillige Schönheit, vielfältige Heilwirkung oder sinnlichen Duft und Geschmack.
Borretsch (auch: Gurken- oder Kurkumerkraut, Herzfreude, Liebäuglein oder Wohlgemutsblume), das wissen wir jetzt, verhilft zu neuem Mut und weckt die Lebensgeister. Gewöhnlicher Erdrauch macht – mit leicht halluzigener Wirkung – der Magenverstimmung den Garaus. Engelwurz beruhigt ungemein und ist ein Abhärtungsmittel. Die Pflanze war zu früheren Zeiten für viele arme Menschen die einzige Vitamin-C-Quelle. Gänseblümchen braucht man ja nur anschauen, um Freude und Leichtigkeit zu verspüren, aber obendrein haben sie auch eine antidepressive Wirkung. Drum eignen sie sich getrocknet als Badezusatz. Sirup aus den Blüten schmeckt im Tee, stärkt den Organismus und entschlackt. Apfelminze,eine von über hundert Minzsorten, zaubert reine Haut, was schon in der Antike bekannt war, und hilft bei Verdauungsproblemen. Wie wir es schon von unserer gemeinen Garten- oder Balkonminze kennen. Aromatischer als sie und genauso wohltuend ist die Ananasminze. Pfingstrosen sind wie Maiglöckchen stark giftig, dennoch kann die Pharmakologie beiden Blumen gute Wirkstoffe gegen Herzkrankheiten abgewinnen. Sauerklee, als typisches Unkraut beschimpft, strotzt vor Vitamin C und wurde deshalb früher gern gegen Skorbut verabreicht. Auch heute kann es nicht schaden, bei einer Zahnfleischentzündung ein paar Blätter zu kauen. Schmeckt auch prima im Salat. Liebstöckel ist – wie der Name schon vermuten lässt (es sei denn, man nennt es Maggikraut) gut für die Liebe. Eine Erklärung dafür, dass es auch „Gebärmutterkraut“ genannt wird, erübrigt sich. Gewöhnlicher Hasenwurz tut in Umschlägen bei Prellungen gut und gelber Salbei sorgt für schmackhafte Rühreier.
Es gibt übrigens, falls Sie es brauchen, ein unfehlbares „Rezept zur Erlangung des Liebsten“: Ein Sträußchen Beifuß ans Bein binden und bei sich tragen, was ganz nebenbei auch die Liebeslust steigert!
Ach: Auf keinen Fall Holunderholz verbrennen, das gibt ein Jahr Zahnweh, die Hühner hören auf zu legen oder Pferde verenden in ihrem Stall. Noch viel mehr solcher „alltagstauglichen“ Rezepte, vor allem aber viele Entdeckungen in unserer heimischen Pflanzenwelt finden sich in dem liebevoll gestalteten Buch „Kräuterzauber – Ein ABC der Heil- und Zauberpflanzen“ aus dem Verlag ars Edition für 12,99 Euro.
(Erschienen in „Meine Zeit“ und „FF.dabei“)